Paris

Wahl zur Nationalversammlung

Frankreichwahl: Linke überraschend vorn, Premier will gehen

Von dpa
Parlamentswahl in Frankreich
Anhänger der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI) reagieren in der Parteizentrale. Bei der Parlamentswahl in Frankreich liegt ersten Hochrechnungen zufolge das Linksbündnis überraschend vorn. (zu dpa: «Frankreichwahl: Linke überraschend vorn, Premier will gehen») Foto: Thomas Padilla/DPA

Unerwartet siegen die Linken bei der Parlamentswahl. Le Pens Rechtsnationale sind von einer Regierungsmehrheit weit entfernt. Der Premier will nun Konsequenzen ziehen.

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Paris (dpa). Überraschung in Frankreich: Bei der Parlamentswahl liegt entgegen aller Erwartungen Hochrechnungen zufolge das Linksbündnis vorn. Das rechtsnationale Rassemblement National schnitt deutlich schlechter ab als angenommen. Es dürfte nur auf dem dritten Platz hinter dem Mitte-Lager von Staatspräsident Emmanuel Macron landen, wie die Sender TF1 und France 2 nach Schließung der Wahllokale berichteten. Die absolute Mehrheit von 289 Sitzen dürfte aber keines der Lager erreichen.

Premierminister Gabriel Attal zog nach der Wahl Konsequenzen und kündigte an, seinen Rücktritt einzureichen. Ob Präsident Macron das Rücktrittsgesuch annehmen wird, ist offen.

Linke sehen sich in Regierungsverantwortung

Parlamentswahl in Frankreich
Eine Wählerin trifft ihre Wahl in der Wahlkabine während der zweiten Runde der Parlamentswahlen in Le Touquet-Paris-Plage. (zu dpa: «Frankreichwahl: Linke überraschend vorn, Premier will gehen»)
Foto: Mohammed Badra/DPA

Die Linken machten nach ihrem Überraschungssieg prompt ihren Regierungsanspruch klar. «Wir haben gewonnen und jetzt werden wir regieren», sagte Grünen-Generalsekretärin Marine Tondelier. Auch der Gründer der französischen Linkspartei Jean-Luc Mélenchon verlangte von Macron, das Linksbündnis zum Regieren aufzufordern.

Parlamentswahl in Frankreich
Der französische Präsident Emmanuel Macron während der zweiten Runde der Parlamentswahlen. In Frankreich hat am Sonntag die Stichwahl begonnen. (zu dpa: «Frankreichwahl: Linke überraschend vorn, Premier will gehen»)
Foto: Mohammed Badra/DPA

Das linke Bündnis Nouveau Front Populaire könnte den Zahlen zufolge auf 177 bis 198 der 577 Sitze kommen. Macrons Kräfte bekommen demnach 152 bis 169 Mandate und das Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen und seine Verbündeten 135 bis 145.

Überraschungserfolg mit Zweckbündnis

Zweite Runde Parlamentsneuwahlen in Frankreich
„„Pour la démocatie et la justice sociale – Faire Front – contre l#extrême droite““ steht auf einem Plakat in Straßburg. Bei der Parlamentswahl in Frankreich liegt ersten Hochrechnungen zufolge das Linksbündnis überraschend vorne. (zu dpa: «Frankreichwahl: Linke überraschend vorn, Premier will gehen»)
Foto: Hannes P. Albert/DPA

Das Ergebnis kommt in Frankreich vollkommen überraschend. Nach der ersten Wahlrunde vor einer Woche sahen Prognosen das RN noch knapp unter der absoluten Mehrheit und damit möglicherweise in der Lage, die nächste Regierung zu stellen. Deutlich zugelegt hat das RN dennoch: Im aufgelösten Parlament hatte es noch 88 Sitze.

Parlamentswahl in Frankreich
Marine Le Pen, die Vorsitzende der französischen Rechtsextremen, kommt in der Parteizentrale des Rassemblement National an. Nach den am frühen Montag veröffentlichten Ergebnissen hat das Rassemblement National in der ersten Runde der Parlamentswahlen die Führung übernommen. (zu dpa: «Frankreichwahl: Linke überraschend vorn, Premier will gehen»)
Foto: Louise Delmotte/DPA

Linke und Macrons Mitte-Kräfte hatten vor der zweiten Wahlrunde eine Zweckallianz gebildet. Um sich in Wahlkreisen, in denen drei Kandidaten in die zweite Runde kamen, nicht gegenseitig Stimmen wegzunehmen und dem RN so lokal zum Sieg zu verhelfen, zogen sich etliche Kandidaten der Linken und der Liberalen zurück. Ihre Wählerschaft riefen sie dazu auf, in jedem Fall gegen das RN zu stimmen.

Parlamentswahl in Frankreich
Jean-Luc Melenchon (M), Gründer der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI), hält eine Rede in der Parteizentrale. Bei der Parlamentswahl in Frankreich liegt ersten Hochrechnungen zufolge das Linksbündnis überraschend vorn. (zu dpa: «Frankreichwahl: Linke überraschend vorn, Premier will gehen»)
Foto: Thomas Padilla/DPA

Das Ergebnis zeigt nun ganz klar: Trotz aller Zweifel hält die Brandmauer gegen Rechts. Die Wahlbeteiligung lag mit 67,5 Prozent deutlich über den Werten der vergangenen Jahre.

Führung und interne Ausrichtung der Linken offen

Parlamentswahl in Frankreich
Olivier Faure, Erster Sekretär der Sozialistischen Partei, hält eine Rede nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen in der Wahlnacht-Zentrale. Bei der Parlamentswahl in Frankreich liegt ersten Hochrechnungen zufolge das Linksbündnis überraschend vorn. (zu dpa: «Frankreichwahl: Linke überraschend vorn, Premier will gehen»)
Foto: Aurelien Morissard/DPA

Frankreichs gespaltene Linke hatte sich erst vor wenigen Wochen für die Parlamentswahl zum Nouveau Front Populaire zusammengeschlossen. Bei der Europawahl Anfang Juni waren die Parteien noch einzeln angetreten. Streit gibt es innerhalb der Linken vor allem über die altlinke Führungsikone Mélenchon. Der Populist, der mit euroskeptischen Aussagen auffällt und einen klar propalästinensischen Kurs fährt, wird selbst in seiner Partei heftig kritisiert.

Parlamentswahl in Frankreich
Jordan Bardella, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN), spricht nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen im Hauptquartier der Partei. Bei der Parlamentswahl in Frankreich liegt ersten Hochrechnungen zufolge das Linksbündnis überraschend vorn. (zu dpa: «Frankreichwahl: Linke überraschend vorn, Premier will gehen»)
Foto: Louise Delmotte/DPA

Eine klare Führung hat das Bündnis aus Linken, Kommunisten, Sozialisten und Grünen nicht. Auch ein gemeinsames Programm gibt es nicht.

Kommt Minderheitsregierung oder Große Koalition?

Frankreichs Premier Attal kündigt Rücktritt an
Frankreichs Premierminister Gabriel Attal hält eine Rede nach den ersten Ergebnissen der zweiten Runde der französischen Parlamentswahlen. Der französische Premierminister Gabriel Attal hat nach dem Überraschungssieg des Linksbündnisses bei der Parlamentswahl seinen Rücktritt angekündigt. (zu dpa: «Frankreichwahl: Linke überraschend vorn, Premier will gehen»)
Foto: Ludovic Marin/DPA

Wie es weitergeht, ist vorerst unklar. Ob die Linken alleine eine Minderheitsregierung auf die Beine stellen können, ist ungewiss. Die anderen Fraktionen könnten eine solche Regierung per Misstrauensvotum stürzen.

Die Linken könnten auch versuchen, von den Mitte-Kräften Unterstützung zu bekommen – entweder als eine Minderheitsregierung mit Duldung oder in einer Art Großen Koalition. Angesichts der gegensätzlichen politischen Ausrichtungen ist allerdings nicht abzusehen, ob dies gelingen könnte. Sozialistenchef Olivier Faure sprach sich zudem bereits gegen eine Koalition mit Macrons Lager aus. Der führende Sozialdemokrat Raphaël Glucksmann brachte Zusammenarbeiten bei einzelnen Vorhaben ins Spiel.

Aus dem Élysée-Palast hieß es, die Frage werde sein, ob eine Koalition mit Zusammenhalt gebildet werden kann, um die absolute Mehrheit zu erreichen, wie der Sender BFMTV berichtete.

Muss Macron Macht abgeben?

Unklar ist, ob Staatschef Macron nun den Rücktritt Attals annehmen und einen Linken zum Premier ernennen wird. In einer solchen Konstellation würde Macron an Macht einbüßen, der Premier, der die Regierungsgeschäfte leitet, würde wichtiger.

Was dies für Deutschland und Europa hieße, ist unklar und hinge wohl stark davon ab, wer auf den Posten käme. Das Linksbündnis vertritt bei vielen großen politischen Themen sehr unterschiedliche Positionen.

Ohne Mehrheit droht Stillstand

Sollte keines der Lager eine Regierungsmehrheit finden, könnte die aktuelle Regierung übergangsweise die Amtsgeschäfte führen oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich droht in einem solchen Szenario politischer Stillstand. Eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und Neuwahlen sind erst im Juli 2025 wieder möglich.

Für Deutschland und Europa hieße das, dass Paris als wichtiger Akteur in Europa und als Teil des deutsch-französischen Tandems nicht mehr tatkräftig zur Verfügung stehen würde.

RN-Sieg hätte Folgen für Deutschland und Europa gehabt

Brüssel und Berlin dürften von dem Wahlausgang erleichtert sein. Eine Regierung der Rechtsnationalen, wohl das Schreckszenario für Deutschland und die EU, scheint abgewendet. Das RN hält im Gegensatz zu Macron wenig von der seit Jahrzehnten engen Zusammenarbeit mit Berlin. Die Europaskeptiker streben zudem danach, den Einfluss der EU in Frankreich einzudämmen.

Zweifel am Wandel von Le Pens Partei

Den Rechtsnationalen wurde das Zweckbündnis der linken und liberalen Kräfte für die zweite Wahlrunde zum großen Nachteil. Außerdem gab es Aufregung um frühere, mutmaßlich rechtsextreme oder antisemitische Aussagen von RN-Kandidaten. Dies säte Zweifel an der von Marine Le Pen betriebenen «Entteufelung» der Partei. Mit diesem Kurs versucht Le Pen seit Jahren, ihre Partei gemäßigter erscheinen zu lassen und bis in die bürgerliche Mitte hinein wählbar zu machen.

RN-Chef Jordan Bardella beschimpfte die politischen Gegner noch am Abend der Wahl. Das Mitte-Lager von Macron und das Linksbündnis bezeichnete er als «Einheitspartei» und «Bündnis der Schande».

Linkes Lager profitiert von Einigkeit und Angst vor rechts

Die Linken profitierten von ihrem im Eiltempo gebildeten Bündnis. Auch dass sie die Führungsfrage offen ließen, dürfte ihnen geholfen haben, diejenigen Wähler hinter sich zu vereinen, die ein Problem mit Mélenchon haben.

Außerdem dürften die Linken wegen der Verunsicherung und Angst vor einem historischen Rechtsruck in Frankreich und einer rechtsnationalen Regierung deutlich mehr Zuspruch bekommen haben.

Macron steht besser da als gedacht

Für den unpopulären Macron ist das Ergebnis weniger vernichtend als erwartet. Macron scheiterte zwar mit dem Versuch, die relative Mehrheit seiner Mitte-Kräfte mit den Neuwahlen auszubauen. Immerhin könnte seine Fraktion aber noch vor Le Pens Rechtsnationalen zweite Kraft werden und mit den Linken in Regierungsverantwortung sein.

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