Rheinland-Pfalz/Berlin

Nach Sex-Fall in Neuwied: Justizminister Hartloff will Schüler besser schützen

Ein Lehrer aus dem Kreis Neuwied hat mehrfach Sex mit einer 14-jährigen Schülerin und wird dafür nicht bestraft, weil er „nur“ ein Vertretungslehrer des Mädchens war. Das kann nicht sein, meint der Mainzer Justizminister Jochen Hartloff (SPD) und fordert, dass das Gesetz geändert wird. Heute debattieren in Berlin die Justizminister der Länder darüber.

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Wie ist die Position des Landes?

Ich sehe im Strafrecht Nachbesserungsbedarf. Ich hatte ein bisschen die Hoffnung, dass der Bundesgerichtshof bei einer Entscheidung im April dieses Jahres die Gelegenheit nutzen würde, das bei sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen erforderliche „Obhutsverhältnis“ – und das ist ja der Knackpunkt – entsprechend den Realitäten im Schulalltag weiter auszulegen. Aber der BGH hat dies nicht getan – sondern es ohne Weiteres nur für Klassen- und Fachlehrer einer Schule bejaht. Den gesetzlichen Handlungsbedarf leite ich auch aus den Ergebnissen der Arbeitsgruppe her, die sich im Sommer auf Beschluss der Justizministerkonferenz unter unserer Federführung gebildet und das Ob und das Wie gesetzlicher Änderungen geprüft hat.

Können Sie das konkretisieren?

Man muss bei der Definition des Obhutsverhältnisses ansetzen, also: Wenn ein Lehrer seine Position ausnutzt, um sexuelle Kontakte zu minderjährigen Schülern zu haben, muss das selbstverständlich strafbar sein – auch wenn er nicht der Klassen- oder Fachlehrer ist und es sich um eine etwas größere Schule handelt. Natürlich sollte dabei auch weiterhin nach dem Alter der betroffenen Schüler differenziert werden. Das Disziplinarrecht soll in Rheinland-Pfalz in diesem Punkt verschärft werden, beim Strafrecht muss ebenfalls nachgebessert werden. Da werden wir jetzt handeln. Ich bin vorsichtig optimistisch, dass ich meine Länderkollegen in diesem Punkt überzeugen kann.

Andere Länder haben bei einem der vergangenen Treffen keinen Änderungsbedarf gesehen. Warum gehen die Meinungen der Justizminister derart auseinander?

Weil ein Teil der Länder sagt: Das sind nur Einzelfälle, die eine Änderung des Strafrechts, das immer nur „ultima ratio“ ist, nicht rechtfertigen. Außerdem können die Gerichte mit einem Spielraum urteilen, der ausreichend ist. Ein anderer Teil ist der Meinung, dass die Drohung mit disziplinarrechtlichen Konsequenzen, also einem Rauswurf, so groß ist, dass wir mit einer möglichen schärferen strafrechtlichen Sanktionierung auch nichts bewirken.

Ihre Einschätzung: Worauf werden sich die Minister verständigen?

Ich wünsche mir, dass wir uns auf die Notwendigkeit strafrechtlicher Änderungen einigen, die wir gegenüber der Bundesregierung vertreten. Konkret: Ich werbe unter anderem für eine Veränderung des Paragrafen 174 Strafgesetzbuch (sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) dahingehend, dass in Erziehungsverhältnissen, also auch an Schulen, kein Obhutsverhältnis mehr erforderlich, sondern eine faktische Überordnung der Lehrkraft ausreichend ist.

Können Sie die daraus resultierenden Veränderungen in ein Beispiel packen?

An Schulen, egal, welchen, hängt die Strafbarkeit sexueller Handlungen nicht mehr davon ab, dass jemand Klassenlehrer ist. Wenn ein Lehrer eine Arbeitsgemeinschaft leitet oder Pausenaufsicht hat, gehe ich davon aus, dass dies von Lehrern und Schülern schon als Über- und Unterordnungsverhältnis empfunden wird.

Wäre unter dieser Voraussetzung der Fall des im Dezember 2011 vom Koblenzer Oberlandesgericht freigesprochenen Vertretungslehrers anders ausgegangen?

Ja. Man kann die derzeitige Differenzierung des Bundesgerichtshofs durchaus für ein wenig zu eng in der Auslegung ansehen. Das Gesetz hätte – so viele Stimmen aus der Praxis – auch eine andere Auslegung hergegeben. Wenn Eltern ihre Kinder einer Schule anvertrauen, gibt es besondere Erfordernisse. Das ist die rheinland-pfälzische Position, die ich in Berlin vertrete. Ich habe versucht, das sehr sorgfältig vorzubereiten, damit wir bei den anderen Ländern auch eine Chance haben, das durchzubekommen. Für einen Schnellschuss war ich nicht zu haben. Das, was wir vorschlagen, ist durchdacht und sorgfältig geprüft.

Gibt es aus den anderen Ländern Signale?

Wie es aussieht, könnte es uns gelingen, zusammen mit Bayern schon bald einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorzulegen. Manche Bundesländer haben signalisiert, geringfügige Änderungen möglicherweise mitzutragen. Andere Bundesländer haben die Notwendigkeit einer Strafrechtsverschärfung aber bislang nicht gesehen, weil es bei ihnen keine derartigen Fälle gab. Das ist natürlich auch gut so. Es gibt sexuellen Missbrauch an Schulen, aber es ist zum Glück kein Massendelikt. Dennoch: Trotz der wenigen Fälle gibt es Handlungsbedarf, den Schutz von Jugendlichen an dieser Stelle zu verstärken.

Von unserem Mitarbeiter Rolf Seydewitz