Ein Leben ohne Open Ohr? Undenkbar!
Mainz – Elisa Biscotti ist in Mainz geboren. „Ich bin in der Altstadt aufgewachsen. Mit drei war ich das erste Mal auf dem Open Ohr“, erzählt die 28-Jährige. Damals hat wohl eher die Mama mitbekommen, worum es ging zu Pfingsten auf der Zitadelle.
Doch Biscotti wuchs hinein in die Themen des Festivals, sie wurde groß mit der besonderen Atmosphäre. „Als ich dann hörte, dass Leute gesucht werden für die Projektgruppe, wusste ich sofort: Das will ich machen“, sagt die gelernte Fotografin und studierte Kulturgestalterin. „Hinter die Kulissen zu gucken finde ich spannend.“
„Ich wollte sehen, was bei so einem Festival alles machbar ist“, sagt die Kulturanthropologin Claudia Roßkopf. Die 27-Jährige kommt aus dem Allgäu, sie erlebte erst ein Open Ohr. „Man muss reinwachsen in die Arbeit“, stellte sie in den letzten Monaten fest.
Die beiden Frauen sind neu in der Freien Projektgruppe, die für das Festivalprogramm verantwortlich zeichnet. Neun Leute sind dieses Jahr dabei, alle arbeiten ehrenamtlich, lediglich eine kleine Aufwandsentschädigung winkt.
Im Oktober vorigen Jahres begann es: Die Gruppe traf sich zu einem Arbeitswochenende und knobelte das Thema fürs 38. Open Ohr aus: Unter dem Titel „System neu starten?“ geht es um all die Bewegungen, die in dieser krisengeschüttelten Zeit entstehen, um die Arabellion, um Occupy oder um die verschiedensten Netzwerke, die zunehmend die bestehenden Systeme hinterfragen.
„Bei unseren Diskussionen habe ich viel gelernt, auch, ein Thema aus sehr verschiedenen Perspektiven zu betrachten“, sagt Biscotti. „Das Schwierige war, wie man alles zusammenschnürt“, erklärt Roßkopf. „Was soll in den Foren diskutiert werden? Das Medienthema, die Arabellion? Mir war es wichtig, dass es ein Paket wird, bei dem man zum Schluss weiß, worum es geht.“
Beide waren daran beteiligt, geeignete Personen für die Podien zu engagieren. „Gerade zur Arabellion war es nicht einfach, den Innenblick zu bekommen. Aber das ist uns gelungen, denke ich.“
Roßkopf und Biscotti kümmerten sich daneben vor allem ums Theaterprogramm. „Über das Theater können wir was aus einer ganz anderen Perspektive beitragen“, sagt Roßkopf. „Man muss ja nicht protestierende Menschen auf die Bühne stellen, das wäre langweilig. Aber wir haben festgestellt, dass sich viele Künstler auf die ein oder andere Weise mit unserem Thema beschäftigen.“
„Das Materialtheater 3 Affen hat es total runtergebrochen“, wird Biscotti konkret. „Da geht es um die kleinen Dinge. Die Menschen leben im Dingsda-Land, und aus dem Nichts tauchen plötzlich die Dinge auf.“ Alles ist da, jetzt könnte Harmonie ausbrechen. „Aber dann beginnen die Dinge zu rebellieren ...“
Theatergruppen zu engagieren war eine Herausforderung angesichts des knappen Etats. „Es tat schon weh, wie wir manche Leute runterhandeln mussten“, sagt Biscotti, „und dann mussten wir noch alles Mögliche beachten: Was kostet die Fahrt, wie transportieren wir das Bühnenbild? Wir sind ja kein Theater, wir haben nur ein Zelt.“
Die letzten Monate hat die Freie Projektgruppe viel zu tun gehabt. Dass es so viel sein würde, hätten die beiden Neulinge aber nicht gedacht. „Ich freue mich, dass es jetzt losgeht“, sagt Biscotti. Und sie meint: „Ich bin nächstes Jahr wieder dabei.“ Ein Leben ohne Open Ohr? Undenkbar. Gerd Blase