Autsch: Shitstorm für Cem Özdemir – Wem gehört der Rock'n'Roll?

Cem Özdemir ist am Dienstag um 10.30 Uhr im Live-Interview zu erleben. Foto: dpa
Cem Özdemir ist am Dienstag um 10.30 Uhr im Live-Interview zu erleben. Foto: dpa

Weil das Ehepaar Wulff am Dienstag in der VIP-Lounge bei einem Bruce Springsteen-Konzert auftauchte und die Bild-Zeitung das berichtenswert fand, ist Cem Özdemir, dem Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, auf seiner Facebook-Pinnwand der Kragen geplatzt. Damit hat er sich einen Shitstorm allererster Güte heraufbeschworen.

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Internet – „Ein persönliche Bitte: Liebe konservative Politiker [...] bitte lasst den Rock'n'Roll in Ruhe“: Weil das Ehepaar Wulff am Dienstag in der VIP-Lounge bei einem Bruce Springsteen-Konzert auftauchte und die Bild-Zeitung das berichtenswert fand, ist Cem Özdemir, dem Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, auf seiner Facebook-Pinnwand der Kragen geplatzt. Damit hat er sich einen Shitstorm allererster Güte heraufbeschworen.

Ein Kommentar mit Rundumschlag von Sandra Elgaß

Aber halt – gehen wir einen Schritt zurück: Waren die Wulffs nicht getrennt? Richtig, sie waren, und sind es noch. Welch ein Glück für die Bild-Zeitung, dass sich damit auch eine Schlagzeile machen lässt: „Erster gemeinsamer Auftritt nach der Trennung“, heißt es auf der Website der Zeitung.

„Wir sind Eltern eines wunderbaren Sohnes, unser Verhältnis ist gut. Außerdem waren wir heute Mittag zusammen essen. Da wir beide riesige Springsteen-Fans sind, kamen wir gleich zusammen her“, plauderte der Ex-Bundespräsident vertrauensselig (inzwischen wohl wieder) der Bild den Grund des gemeinsamen Konzertbesuchs aus.

Özdemir holt zum Rundumschlag aus

Mit diesem Statusupdate handelte sich der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, in fünf Stunden über 400 hämische Kommentare ein.
Mit diesem Statusupdate handelte sich der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, in fünf Stunden über 400 hämische Kommentare ein.
Foto: Screenshot der F
Diese Aufreihung an wunderbaren Wulff'schen Lebenslagen – Top-Sohn, Top-Verhältnis, Top-Mittagessen, Top-Musikgeschmack (Anmerkung der Autorin: Darüber lässt sich natürlich streiten) – kam wohl bei Cem Özdemir (Grüne) weniger gut an – denn der holte zum Rundumschlag gegen alle konservativen Rockliebhaber aus: „Erst von und zu Guttenberg bei ACDC, jetzt Wulffs bei Springsteen. Was kommt noch? Kauder bei Manu Chao? Diese Musik steht so ziemlich für das exakte Gegenteil Eurer Politik. Wann stellt Seehofer, natürlich in der BILD, seine Sex Pistols Plattensammlung vor? Gnade BILD & Co. Habt Erbarmen“, polterte der Grüne am Donnerstag auf seiner Facebookseite los.

Ein Kommentar-Platzregen geht auf Cem Özdemirs Facebook-Pinnwand nieder

Innerhalb von fünf Stunden klickten zwar 444 Menschen unter dem Kommentar auf „Gefällt mir“, doch es sammelten sich auch 349 Kommentare an – und die dürften Cem Özdemir eher nicht gefallen. „Eine persönliche Bitte: Lieber Cem, lass uns alle in Ruhe“, kommentiert ein Nutzer in schöner Analogie zu Cems Kommentar.

521 Personen gefiel bisher der folgende Kommentar eines Nutzers auch sehr gut: „Rock'n Roll steht nicht für Rauchverbot, Glühbirnenverbot und Motorrollerverbot. Rock'n Roll steht nicht für das subventionierte Solardach auf dem Reihenhäuschen. Rock'n Roll steht nicht für Political Correctnes, Binnen-I und Gender-Gap. Rock'n Roll steht nicht für vegetarische Donnerstage in Beamtenkantinen. Rock'n Roll steht für viel, aber ganz bestimmt nicht für grüne Politik!“ Eine offenkundig konservativ eingestellte Nutzerin feixt: „Lieber Herr Özdemir, vielleicht veröffentlichen Sie mal eine Liste mit Songs, die “wir Konservativen„ hören dürfen, damit wir uns zukünftig auch wirklich an Ihre Vorgaben halten können. Danke.“ Etwas pointierter formuliert ein weiterer Nutzer: „Liebes Team Cem – das ist ein populistischer Griff ins Klo.“

Dürfen Konservative keine Rockmusik hören?

Ein kleiner Hieb gegen das andere politische Lager im Internet, und schwupps: Shitstorm an der Backe. Selbstredend fühlten sich natürlich eher die angegriffenen Facebook-Nutzer, als die zustimmenden Facebook-Nutzer, zu Kommentaren berufen – viele davon sind unterirdisch. Andere stellen sich einfach nur die Frage, ob Cem Özdemir damit nicht genau jenen ethischen Paternalismus an den Tag legt, der den Grünen oft vorgeworfen wird. Viele Kommentatoren drücken auch einfach nur ihr Unbehagen dagegen aus, dass manche Menschen Rock hören dürfen sollen und andere nicht. Claudia Roth war zwar Managerin von Ton Steine Scherben und ist so oft in Musikshows zu sehen wie am Rednerpult im Bundestags – aber das gibt den Grünen ja nicht unbedingt die Rock-Deutungshoheit.

Rock'n'Roll ist einfach gut fürs Politiker-Image

Aber auch Cem Özdemir trifft eine Zielscheibe, wenn sein Pfeil auch ein wenig eiern mag: War nicht vor allem zu Guttenberg ein Meister der Inszenierung, der es mit einiger Virtuosität geschafft hat, zum Liebling der Massen aufzusteigen? Öffentlichwirksam zu betonen, Liebhaber harter Tunes zu sein, hat ihm da sicher nicht geschadet. Versteckt hat er es jedenfalls nicht. Ein Schelm ist, wer vermutet, dass die Bild-Zeitung sich bei der Schlagzeile um die Springsteen-Fans aus Großburgwedel dieser Wirkung öffentlich zur Schau getragener rockiger Lässigkeit bewusst sein dürfte. Übrigens: Auch Özdemir schreibt auf Facebook zu seinem Musikgeschmack: „Rock. Die ganze Bandbreite von The Who über die Stones bis zu Led Zeppelin.“

Die Moral aus der Geschicht' ...

Was lernen wir nun aus der Affäre? Vielleicht, was Ironie ist. „Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird,“ führt Cem Özdemir auf seiner Facebookseite als Lieblingszitat auf. Ein paar Tage dürfte ihm der kalte Wind des Shitstorms sicher noch um die Ohren pfeifen. Solange könnten wir ja The Doors hören.

Mit diesem Post reagierte Cem Özdemir am nächsten Tag auf den Shitstorm, den er ausgelöst hatte.
Mit diesem Post reagierte Cem Özdemir am nächsten Tag auf den Shitstorm, den er ausgelöst hatte.
Foto: Screenshot
UPDATE 31. Mai 2013, 14.30 Uhr: Am Freitag reagierte Cem Özdemir mit nebenstehendem Eintrag auf seiner Facebook-Pinnwand. Fazit: Jeder nach seiner Facon, Imagepflege mit Rock'n'Roll ist pfui und lieber wieder über Wichtiges reden. Dem Shitstorm-Handling gebe ich dann mal eine 2+.