Champions League: Wenn Fußball mehr als nur ein Spiel ist

London. Es ist nur ein Spiel. Aber was heißt das schon, wenn sich der FC Bayern und Borussia Dortmund am Samstagabend (20.45 Uhr, ZDF) treffen? Das öffentliche Leben hierzulande wird weitgehend zum Erliegen kommen, die Blicke richten sich nach London, auf die Kathedrale des Fußballs in Wembley.

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Es geht natürlich um viel Geld, aber vor allem geht es um den Titel in der Champions League. Jene Trophäe, die die Münchner mehr herbeisehnen als all die Millionen, die den Verein zu einem prosperierenden Unternehmen haben werden lassen. Wirtschaftlich legt sich der Klub längst mit den Großmächten in Europa an, ist gar auf dem Weg, sie zu überholen.

Aber am Ende zählen eben nur die Titel, weshalb nach den Final-Niederlagen 2010 und 2012 endlich wieder der Henkel- Pokal her soll, nein, her muss. Wenn nicht jetzt, wann dann, fragt sich der Branchen-Primus nach einer Saison der Superlative, in der jüngst sogar der FC Barcelona – die vermeintlich beste Mannschaft der Welt – gleich zweimal vorgeführt wurde.

Niederlage für Bayern undenkbar

Dass sich nun ausgerechnet Borussia Dortmund anschickt, diese Erfolgsgeschichte zu durchkreuzen, verleiht dem Ganzen eine besondere Note. Die Tragödie im Vorjahr im „Finale dahoam“ gegen den Chelsea war schmerzhaft genug, aber nun den Emporkömmling aus dem eigenen Land jubeln zu sehen, ist für die Münchner fern jeder Vorstellungskraft.

„Eine Niederlage würde unsere Saison konterkarieren“, sagt Bayern- Ikone Paul Breitner, der dem Klub als Berater verbunden ist. Mehr noch: Es wäre eine Demütigung. Für diese unterschwellige Angst gibt es gute Gründe. Die Schwarz-Gelben aus dem Ruhrgebiet sind nach Jahren der Depression zu einer ernsthaften Bedrohung für den Krösus im Süden der Republik geworden. Zwei deutsche Meisterschaften in Folge haben die Bayern mächtig verstört, die ihre nationale Hegemonie in Gefahr sehen. Obendrein gab's ein beschämendes 2:5 im Finale des DFB-Pokals 2012, was die Münchner bis ins Mark getroffen hat.

„Wir wissen, wie man gegen die Bayern gewinnt“, verkündet Routinier Sebastian Kehl stolz. Die aufmüpfigen Dortmunder sind nicht zuletzt das Ergebnis der hervorragenden Arbeit von Jürgen Klopp. Der ehemalige Coach des FSV Mainz 05 hat beim BVB ein Team geschaffen, das quasi sinnbildlich für den modernen Fußball steht: Kurzpass-Spiel in höchstem Tempo, blitzartiges Umschalten, aggressives Verteidigen weit entfernt vom eigenen Tor – und nicht zuletzt eine immense Laufbereitschaft aller Akteure.

Zudem ist die Mannschaft bestückt mit etlichen hoch talentierten Jungspunden wie Marco Reus, Ilkay Gündogan und vor allem Mario Götze. Ein 20-Jähriger, dem eine glorreiche Zukunft vorhergesagt wird und der künftig in München seine Tricks vollführt. Für 37 Millionen Euro Ablöse wechselt der junge Mann (der im Finale verletzt fehlen wird) im Sommer die Seiten. Gut möglich, dass ihm Torjäger Robert Lewandowski folgen wird. Die Personalien dokumentieren, dass die Bayern den Fehdehandschuh auf ihre Weise aufgenommen haben.

Es gehört an der Isar seit jeher zum Geschäftsprinzip, die finanzielle Potenz mit allen Mitteln einzusetzen und damit auch den Konkurrenten zu schwächen. Doch beim Rekordmeister ist zuletzt noch weitaus mehr passiert: Die Nackenschläge der Vorjahre haben eine Trotzreaktion hervorgerufen, gepaart mit der Erkenntnis, dass nur im Kollektiv Großes erreicht werden kann.

Bemerkenswert, wie es Trainer Jupp Heynckes gelungen ist, sein Team neu zu erfinden und die Bayern damit quasi zu besseren Dortmundern zu formen. 25 Punkte Vorsprung in der Meisterschaft sprechen für sich. Das gab's noch nie.

BVB genießt Außenseiter-Rolle

Nicht nur das Wetteifern der beiden Vorzeigeklubs wird in Europa mit Bewunderung verfolgt.

Während andernorts die Ligen unter Zuschauerschwund (Spanien), Rassismus-Skandalen (Italien) und wirtschaftlicher Großmannssucht (England) leiden, steht die Bundesliga für gesunde Vereine, attraktiven Fußball bei moderaten Eintrittspreisen. Moderne Arenen tun ein Übriges, der Markt der Zukunft ist verheißungsvoll.

Nicht zuletzt die erfrischenden Auftritte der DFB-Elf haben dafür gesorgt, dass das Bild der deutschen Rumpelfußballer überholt ist. So gesehen, steht am Samstagabend der gesamte deutsche Fußball ein Stück weit im Fokus. Und die Rollen sind klar verteilt: Die Dortmunder kosten ihre Position als Außenseiter aus, der den großen Favoriten ein weiteres Mal ärgern will. Clever, wie Jürgen Klopp ist, hat er unter der Woche in einem Interview für den „Guardian“ zudem den Versuch gestartet, die neutralen englischen Fans auf seine Seite zu ziehen.

Der Verweis darauf, dass der BVB seit jeher ein Arbeiterverein ist, kommt gerade auf der Insel gut an. Noch plakativer war mit Blick auf die aggressive Transferpolitik der Bayern der Hinweis, dass sich der Gegner wie ein Bösewicht in einem James-Bond- Film aufführt. Anders ausgedrückt: Dortmund reist als Kämpfer für die Gerechtigkeit an, der FC Bayern ist der Schurke, der sich die Welt untertan machen will. Sieht ganz so aus, als wäre es dann doch mehr als nur ein Fußballspiel am Samstagabend in London. Viel mehr.