Besondere Sprachform: Leichte Sprache baut Barrieren ab
„Ob Busfahrplan, Beipackzettel oder Theaterprogramm: Im Alltag treffen wir auf Texte, die nicht verstanden werden“, weiß Nadja Quirein. Sie arbeitet als Übersetzerin und Prüfgruppenbegleiterin beim Kompetenz-Zentrum Leichte Sprache des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Westerburg (Westerwaldkreis) und schreibt Texte in Leichter Sprache.
Diese besondere Sprachform ist leicht verständlich und folgt genauen Regeln. So verwendet sie kurze Sätze mit nur einer Aussage, Fachbegriffe werden erklärt, große Zahlen und Abkürzungen vermieden. Auch das Schriftbild ist ungewöhnlich: Die Schrift ist größer als üblich, Bindestriche unterteilen lange Wörter. So entstehen barrierefreie Texte, die für jeden verständlich sind. Zur Leichten Sprache gehört auch ein sogenannter Prüfer dazu. Meistens sind das Menschen mit Lernschwierigkeiten oder geistigen Behinderungen, die die Texte gegenlesen und auf Verständlichkeit prüfen – Experten in eigener Sache sozusagen. Einer von ihnen ist Michael Schäning. Der 34-Jährige arbeitet als Prüfleser gegen Entgelt bei der Lebenshilfe Limburg. Er ist fünfmal die Woche im Einsatz und hat viel Freude an seinem Job. „Ich mag es, dass die Texte so unterschiedlich sind. Neulich hatten wir einen Text aus Thüringen, das war spannend“, findet er. Schäning hat große Schwierigkeiten beim Lesen, weshalb ihm auch das Verstehen von Texten schwerfällt. „Manchmal sind die Texte im Alltag zu schwierig“, findet er. Deshalb sei es so wichtig, dass es sie auch in Leichter Sprache gibt. Doch auch für Schäning war die Leichte Sprache neu. Er hat sie erst in seinem Job als Prüfer kennengelernt.
Leichte oder Einfache Sprache? Gibt es da einen Unterschied? Ganz klar ja. Während die Leichte Sprache klaren Regeln folgt und eine stark vereinfachte Form der Sprache darstellt, ähnelt die Einfache Sprache eher unserer Alltagssprache. Auch dort werden Fachbegriffe erklärt und verschachtelte Sätze vermieden. Jedoch wird deutlich mehr Wissen beim Leser vorausgesetzt. Das Angebot an Texten in Einfacher Sprache ist in Deutschland bereits viel größer als in Leichter Sprache. Zum Beispiel bieten Verlage wie Spaß am Lesen Unterhaltungsliteratur oder auch Klassiker in der vereinfachten Textform an.
Bereits in den 1970er-Jahren kam in den USA die Idee der Leichten Sprache auf, die in den 1990er-Jahren auch Deutschland erreichte. Daraufhin gründete sich 2001 der Verein „Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland“, das sich für die Leichte Sprache einsetzt. Das Schreiben der Texte ist Teamarbeit: Übersetzer und Prüfer arbeiten gemeinsam daran, dass die Texte leichter zu verstehen sind. „So entsteht ein Instrument der Inklusion“, fasst Nadja Quirein zusammen.
Der Bedarf an Leichter Sprache ist groß. Nicht nur Alltagstexte sind oft schwer verständlich, auch die Internetseiten der meisten Kommunen bereiten Schwierigkeiten. Während immer häufiger Inhalte in Gebärdensprache angeboten werden oder auch die Schriftgröße variabel ist, tun sich Städte und Land im Gegensatz zum Bund schwer, Angebote in Leichter Sprache zu formulieren. Allein ein in Leichter Sprache verfasster Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis lässt sich aufstöbern. Eine magere Bilanz. Und das, obwohl Deutschland die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) mitunterschrieben hat. Diese beinhaltet auch die barrierefreie Sprache. Der Beschluss der UN wurde in die 192 Nationen weitergetragen, in Deutschland haben die Bundesländer Aktionspläne erstellt, wie sie die Konvention umsetzen wollen.
Netzwerk setzt sich für Leichte Sprache ein Der Verein Netzwerk Leichte Sprache ist eine Initiative von Menschen mit Behinderungen. Er hat sich als einer der ersten in Deutschland für sprachliche Barrierefreiheit eingesetzt. Besuchen Sie die Seite: www.leichtesprache.org
Verein Netzwerk Leichte Sprache
Grundrechte leicht verständlich Das Deutsche Institut für Menschenrechte erklärt auf seiner Seite, welche Rechte Menschen mit Behinderungen haben – natürlich barrierefrei. Besuchen Sie die Seite: www.ich-kenne-meine-rechte.de
Institut für Menschenrechte
Bundesministerium einfach erklärt Informationen über seine Arbeit hat auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf seiner Seite leicht erklärt. Ein Klick auf das Leichte-Sprache-Logo rechts oben genügt. Besuchen Sie die Seite: www.bmas.de
Auch Rheinland-Pfalz hat 2015 einen Aktionsplan vorgestellt, in dem die Leichte Sprache erwähnt ist: „Im Wege der Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürgern kommen – insbesondere wenn Bürgerrechte betroffen sind – Leichte Sprache, Gebärdensprache, Braille sowie andere notwendige Kommunikationshilfen bedarfsgerecht zum Einsatz“, heißt es in dem Papier, das auch in Leichter Sprache erhältlich ist. Doch während auf Bundesebene die Internetseiten zumindest auf der Startseite mit leicht verständlichen Inhalten bestückt sind, weist der Internetauftritt des Landes Rheinland-Pfalz mit Ausnahme des Sozialministeriums noch eine Lücke auf.
Dabei ist schwer zu fassen, wie viele Menschen Informationen in Leichter Sprache bräuchten. Denn zur Klientel gehören nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten oder geistigen Behinderungen, sondern auch Sprachanfänger, Menschen mit Demenz oder Senioren, denen das Lesen schwerfällt, sowie funktionale Analphabeten. Für diese Menschen sind Angebote in Leichter Sprache sehr hilfreich.Doch genau hier steckt ein großes Missverständnis in der öffentlichen Diskussion um Leichte Sprache. Schon 2015 hat Bremen für die Bürgerschaftswahl Unterlagen in Leichter Sprache verschickt. Auch im schweizerischen Basel hat eine Primarschule Elternbriefe in Einfacher Sprache herausgegeben. Für Aufregung hat Anfang des Jahres das Land Schleswig-Holstein gesorgt, als es Wahlbenachrichtigungen in Leichter Sprache verschickt hat. Vorwürfe wurden laut, die deutsche Sprache ginge „den Bach runter“, würde verkommen, es sei nur noch Sprache „für Dumme“.
Dabei plädieren Experten keineswegs für ein Entweder-oder, sondern für ein Begleitangebot, das auf Bedarf ausgehändigt wird. „Manchmal würde ja schon eine Erklärung in Leichter Sprache reichen, zum Beispiel bei einem Vertrag“, sagt Übersetzerin Quirein. Für mehr sprachliche Teilhabe. Marta Fröhlich
Beispiele, wie ein Artikel in Leichter Sprache aussehen kann, finden Sie hier: