Berlin/Rheinland-Pfalz

Arbeitsmarkt: Putzfrau mit Doktortitel?

Eigentlich hatten sie einen anderen Beruf gelernt. Doch in Deutschland schlagen sie sich als Putzfrauen, Taxifahrer und Hilfsarbeiter durch. Etwa 300 000 Zuwanderer arbeiten nicht in ihrem erlernten Beruf, weil ihr Abschluss nicht anerkannt ist.

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Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann

Ein riesiges Potenzial an Fachkräften liegt brach. Das neue Gesetz zur besseren Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen hat daran bisher kaum etwas geändert. Die Bilanz, nachdem es mehr als ein Jahr in Kraft ist: Etwas mehr als 30 000 Anträge von Zuwanderern liegen vor.

Akademiker fahren Taxi

Krankenschwestern und Kaufleute, Handwerker und Ärzte aus dem Ausland hatten bis zum April vergangenen Jahres kein Recht darauf, zumindest überprüfen zu lassen, ob die Qualifikation, die sie aus ihrem Heimatland mitbringen, mit einem deutschen Abschluss gleichwertig ist. Die für den jeweiligen Beruf zuständigen Prüfstellen konnten bis dato selbst ermessen, ob ein Antrag geprüft wird oder nicht. Altenpflegerinnen arbeiten deshalb in Kneipen oder putzen, und das Klischee vom Taxi fahrenden Akademiker ist auch nicht aus der Luft gegriffen.

Gleichzeitig warnt die deutsche Wirtschaft seit Jahren vor einem sich verstärkenden Mangel an Fachkräften. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, warnt, im Jahr 2015 könnten zwischen sechs und sieben Millionen Fachkräfte fehlen. Deutschlands Bevölkerung wird immer älter und schrumpft. Wirtschafts- und Integrationspolitiker der Koalition hatten auch deshalb das neue Anerkennungsgesetz bejubelt, als es am 1. April 2012 beschlossen war.

Damit haben Zuwanderer einen rechtlichen Anspruch auf ein Prüfungsverfahren, ob ihre Kenntnisse und Qualifikationen gleichwertig sind. Auch Teilanerkennungen sind möglich. Der Bewerber erfährt dann genau, welche Fortbildung er nachmachen muss, um den deutschen Abschluss doch noch zu erhalten. Bislang ist die Resonanz jedoch verhalten. Bei der zentralen Prüfstelle der Industrie- und Handelskammern (IHK) Fosa (Foreign Skills Approval) in Nürnberg sind bis Ende Mai lediglich 3020 Anträge von Zuwanderern eingegangen.

Fast 400 Anträge musste die Kammer, die für 130 Ausbildungs- und 50 Weiterbildungsberufe zuständig ist, an andere Stellen weitergeben. In 966 Fällen wurde die Qualifikation und Berufserfahrung immerhin als vollkommen gleichwertig anerkannt. 425 Fälle wurden teilweise anerkannt, die Antragsteller müssen also weitere Qualifikationen erwerben.

„Wir haben das Anerkennungsgesetz sehr unterstützt, weil Potenzial brachliegt. Aber mit 3000 Anträgen sind wir sehr weit von dem entfernt, was wir erwartet hatten“, sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK Koblenz, Arne Rössel. Viele Menschen seien „unter dem Niveau“ ihrer Qualifizierung beschäftigt.

„Viele kümmern sich offenbar nicht. Oder sie haben noch gar nicht von der neuen Möglichkeit erfahren“, meint Rössel. Auch bei den Unternehmen sieht er Wissenslücken. Bisher habe es noch keinen einzigen Fall einer Nachqualifizierung im Bereich der IHK Koblenz gegeben.

Dabei erreicht Rheinland-Pfalz bei der Zahl der Anträge im Vergleich mit anderen Ländern bei den IHK-Berufen noch einen vorderen Platz. Spitzenreiter ist Nordrhein- Westfalen mit 668 Anträgen, gefolgt von Bayern (617), Baden- Württemberg (576) und Hessen (347). Rheinland-Pfalz liegt mit 177 Anträgen auf Platz fünf. Die meisten Anträge kamen von Menschen aus Polen, Russland und der Türkei. Beim Blick auf die einzelnen Handelskammern fällt die Statistik allerdings noch dürftiger aus: 47 Anträge wurden in Koblenz binnen einem Jahr gestellt.

Zum Vergleich: Bei der IHK Düsseldorf waren es 36 Anträge, bei der IHK Region Stuttgart waren es 158. Am stärksten nachgefragt sind Anerkennungen für kaufmännische und Metall- und Elektronikberufe, auch im Hotel- und Gaststättengewerbe gibt es mittlerweile eine leicht gestiegene Nachfrage. Nicht einmal 100 Anträge erreichten die IHKs allerdings von Menschen aus dem Ausland, die gern in Deutschland arbeiten und leben möchten.

Länder setzen Gesetz nicht um

Allein im Gesundheitsbereich können sich die Zahlen bereits sehen lassen: Zwischen April 2012 und Februar 2013 stellten 8635 Ärzte mit ausländischen Qualifikationen einen Antrag auf Anerkennung ihrer Qualifikation in Deutschland, 3123 Anträge wurden im Bereich der Krankenpflege eingereicht. Experten vermissen für den Gesundheitsbereich allerdings eine zentrale Stelle, damit die Anerkennung möglichst zügig und effizient funktioniert.

Und noch etwas verzögert das Verfahren: Die meisten Bundesländer haben das Anerkennungsgesetz nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich umgesetzt. So könnte es einem Lehrer, der in Hessen bereits anerkannt wurde, noch immer passieren, dass er in Bayern noch lange nicht seinen Beruf ausüben darf.