November 2011: Die Zwickauer Zelle
Von ersten Polizeiberichten nimmt noch nicht die ganze Nation Notiz: Nach einem Banküberfall in Eisenach werden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November tot in ihrem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. In Zwickau geht am selben Tag die Wohnung in Flammen auf, in der das Duo mit Beate Zschäpe gelebt hat.
Noch ahnt kaum jemand, welche Brisanz in den Trümmern steckt und welche schockierende Wahrheit unter dem Schutt liegt. Als aber die Waffe der im Juli 2007 in Heilbronn getöteten Polizisten am 7. November auftaucht, Beate Zschäpe sich einen Tag später stellt und Fahnder auf Bekennervideos stoßen, wird es plötzlich zur Gewissheit: Ein rechtsradikales Terror-Trio konnte mehr als zehn Jahre raubend und mordend durch ganz Deutschland ziehen, ohne dass dies Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste bemerkten. Auf das Konto von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, die Zwickauer Zelle, sollen mindestens zehn Morde gehen. Möglicherweise hat der „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) aber noch mehr Anschläge verübt – vor allem auf ausländische Kleinunternehmer wie Dönerbuden-Besitzer. Die Angehörigen mussten zu ihrem Leid noch zusätzliche Diskriminierung erdulden. Allein die Tatsache, dass die Opfer ausländische Mitbürger waren, löste den Reflex aus: Es sind Schutzgelderpresser oder Mafiosi im Spiel. Bundespräsident Christian Wulff, Bundestag und Landtag drücken Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus, die der Staat nicht schützen konnte und auch noch in die Nähe eines kriminellen Milieu rückte.
Immer mehr Unfassbares kommt ans Licht: Obwohl die Polizei schon im Januar 1998 in Jena eine Bombenwerkstatt des Trios entdeckt hatte, konnte es untertauchen und Terror verbreiten. Und: Ein V-Mann wie NPD-Funktionär Tino Brandt konnte mit viel Geld vom Staat den Thüringer Heimatschutz erst richtig aufbauen. Immerhin werden jetzt Unterstützer aufgespürt: auch Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Mit der Frage, ob die Dienste nur dilettantisch waren, flammt jetzt die Debatte über ein neues NPD-Verbot vehement auf. Es war 2003 gescheitert, weil zu viele V-Leute in der NPD aktiv waren. Die Länder einigen sich auf einen Kompromiss: Bis Ende März 2012 wollen sie ihr Material für ein neues Verbotsverfahren vorlegen. Nach der unglaublichen Pannenserie wird auch eine Verbunddatei gefordert, die alle Rechtsextremisten erfasst. Aber bei diesem Plan knirscht es in der schwarz-gelben Koalition wieder, wie schon bei der Vorratsdatenspeicherung. Gleichzeitig handeln aufgeschreckte Behörden: Das Bundeskriminalamt stockt die Sonderkommission auf 480 Experten auf. Zeitgleich wird eine Zeugenaussage bekannt: Danach soll auch die extremistische Szene im Westen von den Killern gewusst haben, unterstützte sie möglicherweise.Auch ohne den letzten Beweis dafür, bleiben viele Konsequenzen und Fragen noch offen. Fakt ist: Der Verfassungsschutz hat zwar viele V-Leute, aber die liefern wenig brauchbares Material. Und: Die Ämter sammeln viele Informationen, verknüpfen sie aber nicht zu einem klaren Profil, zumal man Daten auch untereinander geheim hält. Dies könnte das Abwehrzentrum von Bund und Ländern ändern, das am 16. Dezember in Köln und Meckenheim seine Arbeit aufnimmt.
Von unserer Chefreporterin Ursula Samary
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