Hunsrück

Abi und dann? Berufsberaterin spricht im RZ-Interview über die Gen Z

Merkel erhält Ehrendoktorwürde der HHL
Wenn die Euphorie über das bestandene Abitur sich ein wenig gelegt hat, kommt bei vielen Abiturienten erst einmal die große Frage: Was soll ich nun tun mit dem Abitur in der Tasche? Die Experten von der Agentur für Arbeit bieten hier vielfältige Hilfestellungen. Foto: dpa/Jan Woitas

Im Zuge unserer Serie zur Generation (Gen) Z im Hunsrück, also zu denjenigen, die zwischen 1997 und 2012 geboren sind, holen wir uns auch immer die Meinung eines Experten ein, um einen anderen Blick auf das Thema zu erhalten. Dieses Mal haben wir mit Franziska Heib gesprochen, die sich als Studien- und Berufsberaterin der Agentur für Arbeit speziell um Abiturienten kümmert.

Lesezeit: 5 Minuten
Anzeige

Frau Heib, welche Angebote hält die Agentur für Abiturienten bereit?

Wir sind ganz nah an der Schule, bieten dort Sprechstunden an – und das nicht erst ab Klassenstufe 13, sondern bereits ab dem 9. Schuljahr. Wir sind also einerseits ein Teil der Schulen, beraten andererseits aber unabhängig und informieren über die vielfältigen Möglichkeiten und die vielen Türen, die sich nach dem Abitur für die Schüler öffnen, gehen dabei aber auch ganz individuell auf die Wünsche und Bedürfnisse der Schüler ein, laden sie bei Bedarf zu einem ausführlichen Beratungsgespräch ein. Zudem bieten wir berufsorientierende Veranstaltungen in den einzelnen Klassen an.

Spüren Sie bei den Jugendlichen denn auch die Verunsicherung mit Blick auf deren berufliche Zukunft?

Immer wieder gibt es Schüler, die ihre Situation selbst als total „lost“ („verloren“, Anm. d. Red.) bezeichnen, die es nicht schaffen, die Vielfalt an Möglichkeiten für sich zu filtern. Von ihren Eltern kennen sie meist nur den straighten Weg: Schule, Ausbildung oder Studium, Beruf. Doch die Zeiten haben sich geändert, die Bildungswege, die Berufsbilder sind andere, das System ist viel durchlässiger geworden, es gibt also auch ganz unterschiedliche Wege, um ans Ziel zu kommen. Und die müssen eben nicht immer straight sein. Aktuell gibt es beispielsweise 11.000 grundständige Studiengänge, mit Masterstudiengängen sind es sogar mehr als 20.000. Hinzu kommen 327 betriebliche Ausbildungs- und etwa 130 schulische Ausbildungsberufe sowie die Möglichkeit zum dualen Studium. Wer da ohne eine gewisse Systematik an die Auswahl geht, der verliert sich.

Wie kommt es, dass die jungen Menschen der Generation Z, die zugleich als Digital Natives gelten, den Überblick verlieren?

Digital Native zu sein ist nicht gleichbedeutend damit, auch über entsprechende Medienkompetenz in diesem Bereich zu verfügen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Jugendlichen oft sehr reflektiert sind, dass sie aber nicht wissen, wie sie sich gezielt informieren, welche Suchwege sie wählen können.

Franziska Heib berät Abiturienten bei der Berufswahl. Foto: Agentur für Arbeit
Franziska Heib berät Abiturienten bei der Berufswahl.
Foto: Agentur für Arbeit

Wie konkret können Sie hier als Agentur helfen?

Ich glaube, es geht erst einmal darum, dass wir den Jugendlichen aufzeigen, welche Fragen sie sich stellen müssen: Was kann ich, also was sind meine Kompetenzen? Was will ich, also wie definiere ich meine Ziele? Und was gibt es, also welche Möglichkeiten hält der Arbeitsmarkt bereit? Der nächste Schritt besteht dann darin, eine Schnittmenge zwischen den drei Fragestellungen zu finden. Und wir versuchen ihnen zu vermitteln, dass es keine richtigen und keine falschen Entscheidungen gibt, dass die Entscheidung für einen Weg keine Entscheidung für den Rest des Lebens sein muss. Es ist eine erste Entscheidung, danach folgen noch viele weitere. Dabei spielt aus meiner Sicht die Lernform, also Studium, Schule oder Ausbildung, eine untergeordnete Rolle und sollte vielleicht eher nach persönlichen Präferenzen gewählt werden. Alle Formen bringen Vorteile mit sich. Was wir ebenfalls machen: Wir bieten Unterstützung bei der Recherche nach Unis oder Fachhochschulen, vermitteln auch in Ausbildungsstellen und duale Studienplätzen, was ganz zentrale Aufgaben und Hilfen der Agentur sind.

Aber ist es nicht so, dass man in der Oberstufe vor allem auf ein anschließendes Studium vorbereitet wird?

Ich glaube, hier findet langsam ein Umdenken statt, auch wenn das oft noch der beliebteste Weg ist. Ich habe hierzu ein schönes Beispiel aus meinem Arbeitsalltag: Eine junge Frau, die ein duales Studium beim Finanzamt gemacht hat, weil sie gut in Mathe war und ihr dieser Berufsweg passend schien, saß vor mir und erzählte mir, dass sie eigentlich Konditorin werden möchte. Ich habe sie dann gefragt, warum sie diese Leidenschaft nicht weiter verfolgt. Ihre Reaktion: Aber ich habe doch Abitur. Und ich glaube, dieses Beispiel zeigt sehr eindrücklich, was die eigene, was aber auch oft die Erwartungshaltung von außen ist. Dass jeder, der Abitur macht, auch ein Studium anschließen muss. Dabei gibt es auch viele andere Möglichkeiten, denen man sich keinesfalls pauschal verschließen kann. Wer Theorie und Praxis unter einen Hut bringen möchte, für den kommt beispielsweise auch ein duales Studium oder eine verkürzte Ausbildung infrage und ein Studium ist oft auch später berufsbegleitend noch möglich. Zudem steht ein Meister einem Akademiker in nichts nach. Und ich bin überzeugt: Wenn jemand eine Leidenschaft für etwas mitbringt, dann wird er in diesem Bereich auch beruflich erfolgreich werden – ob mit oder ohne Studium.

Wie gehen Sie vor, wenn jemand vor Ihnen setzt, der noch gar keine Vorstellung davon hat, was er beruflich einmal machen möchte?

Da tasten wir uns langsam vor, fragen, welche Gedanken sich derjenige schon gemacht, ob er schon praktische Erfahrungen gesammelt hat. Denn dadurch lernt man sich besser kennen, weiß vielleicht, was man nicht will, welche Rahmenbedingungen und Werte einem wichtig sind. Auch Noten können ein Anhaltspunkt für Kompetenzen sein, genau wie Hobbys, Interessen. Durch viele und gezielte Fragestellungen ergibt sich oft schon ein vages Bild davon, in welchen Bereich es gehen könnte. Zudem haben wir die Möglichkeit, verschiedene Tests anzubieten, deren Ergebnisse uns und vor allem dem Abiturienten Rückschlüsse zu Themen wie Fähigkeiten und Vorlieben geben, aber durch die auch die möglichen Berufsbilder eingegrenzt werden können. Die Ergebnisse sind durchaus valide.

Welche Rolle spielt das Umfeld bei der Wahl des ersten Wegs?

Eine durchaus wichtige, gerade Eltern. Denn die kennen ihr Kind in der Regel sehr gut, wissen um dessen Stärken und Schwächen. Deswegen ermutigen wir die Abiturienten dazu, das Gespräch mit ihren Eltern zu suchen, sich deren Einschätzung einzuholen. Eine Fremdeinschätzung kann durchaus wichtig und ermutigend sein. Zudem ist es sinnvoll, mit denen ins Gespräch zu kommen, die einen der Berufe ausüben, die man selbst in die engere Wahl genommen hat, sie nach dem Werdegang, nach den Inhalten zu fragen.

Viele, die erst einmal keine Orientierung haben, entscheiden sich für ein Gap-Jahr. Was halten Sie von dieser Vorgehensweise?

Wenn das Gap-Jahr (Auszeit, Anm. d. Red.) dazu da ist, die Entscheidung aufzuschieben, dann wird es schwierig. So ein Jahr kann aber durchaus sinnvoll genutzt werden, um sich beruflich zu orientieren, beispielsweise bei einem Freiwilligen Sozialen Jahr, das mittlerweile in ganz vielen unterschiedlichen Bereichen angeboten wird, auch im Ausland – falls jemand sein Gap-Jahr mit einem Auslandsaufenthalt verbinden möchte. Auch im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung kann ein Jahr im Ausland sicherlich sinnvoll sein, man sollte dabei nur seine Ziele und bestehende Fristen für Bewerbungen und Einschreibungen nicht aus dem Blick verlieren.

Welchen Tipp geben Sie Abiturienten generell mit auf den Weg?

Es braucht Zeit. Zeit ist sicherlich der wichtigste Faktor bei der Entscheidungsfindung. Es handelt sich um einen Prozess und Aufschieben ist dabei sicherlich die schlechteste Option, denn dadurch nimmt man sich die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren. Zudem würde ich jedem raten, auch schon während der Schulzeit praktische Erfahrungen zu sammeln, denn denjenigen fällt es oft leichter, Entscheidungen zu treffen, auch weil sie während ihres Praktikums oder ihres Nebenjobs ganz viel für sich selbst mitnehmen, eben auch, dass dieser oder jener Job keine Option ist. Und zu guter Letzt: Angst ist ein ganz schlechter Berater. Man sollte keine Angst vor der Entscheidung haben, sondern die positiven Aspekte sehen. Ein Studienabbruch ist beispielsweise kein Scheitern, sondern die mutige Erkenntnis, dass das eben nicht der richtige Weg, dass es aber eine wichtige Erfahrung war.

Das Gespräch führte Sina Ternis