Bye-bye, Brille! Wie unsere Redakteurin ihre Augen lasern ließ

Der Moment der Wahrheit: Während des Lasereingriffs ist der Patient bei vollem Bewusstsein. Schmerzlindernde Augentropfen verhindern, dass er den Eingriff spürt.
Der Moment der Wahrheit: Während des Lasereingriffs ist der Patient bei vollem Bewusstsein. Schmerzlindernde Augentropfen verhindern, dass er den Eingriff spürt. Foto: Augenklinik Dardenne

Ein kosmetisches Problem? Nein. Es ist die Furcht, meine Selbstständigkeit zu verlieren, die mich zu der Erwägung führt, mich sehenden Auges unters Lasermesser zu legen.

Lesezeit: 7 Minuten
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Von unserer Chefreporterin Nicole Mieding

Man kann sich durchaus anfreunden mit einer Welt im Nebel. Damit, dass über allem ein sanfter Schleier liegt, die Kurzsichtigkeit aus Ziegeln auf Hausdächern eine rostrote Fläche macht und die Äste, Zweige und Blätter eines Baums zu einem wolkenförmigen Ganzen vermengt. Ist auch irgendwie ganz schön, wenn einen die Dinge da draußen nicht gleich mit jedem Detail anspringen. Stattdessen nähert man sich der Realität nach dem Aufwachen Schritt für Schritt: Augen auf, durch den morgendlichen Dunst blinzeln und die Brille erst dann aufsetzen, wenn man bereit für das Leben in all seiner Schärfe ist.

Aber klammheimlich war aus meinem Schönheitsfehler eine ernst zu nehmende Behinderung geworden. Jedenfalls aus meiner Sicht. Als Jugendliche war ich zur Brillenschlange mutiert. Habe ein halbes Leben lang Sehhilfen – zuerst Brille, später Kontaktlinsen – getragen. Immer mit dem Ergebnis besten Durchblicks. Dann ist da der Moment, an dem ich am Bettrand meine Brille ertaste. Mich dabei ertappe, wie ich sie an der immer selben Stelle ablege, damit ich sie durch den dichter gewordenen Dunst auch wiederfinde. Minus 5,75 Dioptrien. Kein Schritt mehr ohne Brille. Meine Sehhilfen retten mich, ohne bin ich hilflos.

Unter allen Anbietern den richtigen finden

„Beste Aussichten“ verspricht die Klinik, die ich mir nach langer, verwirrender Suche ausgeguckt habe. Ein Pionier in Sachen Laser-OP. Hat also Erfahrung. Bietet die Augen-OP zum Fixpreis für 3200 Euro an. Dafür sind Garantie, medizinische Nachbehandlungen und gegebenenfalls ein Korrektureingriff inklusive. Die Klinik ist im Notfall rund um die Uhr erreichbar und liegt quasi vor meiner Tür. Ich melde mich zu einem Informationsabend an. Ein sympathischer junger Arzt erklärt nach Feierabend die schier unfassbaren Möglichkeiten moderner Medizin. Die Zuhörer: Menschen mit den berühmten Glasbausteinen im Gesicht. Und solche, die trotz diverser Sehhilfen die Welt nur eingeschränkt wahrnehmen. Sich mit dreierlei Brillen, unverträglichen Kontaktlinsen und Lupen durch den Alltag quälen. Mir wird klar, warum der Eingriff in meinem Fall als Schönheitsoperation gilt, den die Krankenkasse in der Regel nicht bezahlen will. Mein Leidensdruck schrumpft zum Luxusproblem.

Vielleicht gibt's ja gar keinen Grund, mich mit meiner immerhin recht stabilen Sehkraft dem Risiko einer Operation auszuliefern? Sollte ich es hier tun wollen, würde mich nicht der nette junge Doktor heilen, sondern der Amaris 1050RS – der „schnellste und sicherste Laser, den es zurzeit gibt“, wie er mir versichert. Das Wunderding registriert jede Augenbewegung, stellt seine Arbeit ein, um sie an exakt derselben Stelle fortzusetzen, sobald mein Auge wieder stillhält, und schafft eine Dioptrie pro Sekunde. „Sie sollten sich diesen Eingriff in Ruhe überlegen“, sagt der Arzt zum Abschied. „Wenn Sie gut mit Ihrer Brille leben, lassen Sie es sein“, rät der Mediziner, der selbst eine Brille trägt. Sollte das eine vertrauensbildende Maßnahme sein, hat er seinen Job gut gemacht. Bei den medizinischen Erläuterungen habe ich eifrig mitgeschrieben. Ich nehme meinen Notizzettel und eine Broschüre mit nach Hause und frage mich, wie schlimm mein Leben mit Brille eigentlich ist.

Schlimm? Gar nicht. Eingeschränkt schon. Ich träume davon, morgens die Augen aufzuschlagen und die Uhrzeit zu erkennen, ohne dass ich mir den Wecker vors Gesicht halten muss. Aber an der Vorstellung, wie sich der Schleier, der meine Welt eintrübt, nach der OP schlagartig lüftet, scheitere ich. „Wenn Sie wollen, befreien wir Sie von der Brille“, hatte der Arzt versprochen. Klingt wie ein Wunder. Und das gibt's nur mit Einschränkung: Ob der Arzt mir tatsächlich helfen kann, hängt von einer Voruntersuchung ab. Falls der Befund gegen einen Eingriff spricht, hab ich mir alle Gedanken umsonst gemacht. Weil ich ohnehin alles immer ganz genau wissen will, vertage ich meine Entscheidung und melde mich mitsamt meiner Skepsis zur Voruntersuchung an.

Kurzsichtigkeit, Hornhautverkrümmung: Kein Problem. Dass ich neuerdings wie Goethe „Mehr Licht!“ rufe, weil ich beim Lesen immer längere Arme kriege, deutet auf eintretende Altersweitsichtigkeit hin. Die lässt sich leider nicht weglasern. Constantin Feretos, der Arzt, den ich schon vom Infoabend kenne, schlägt vor, mit der OP noch zehn Jahre zu warten. „Dann können wir durch einen Linsentausch zugleich die Presbyopie korrigieren“, erklärt er. Dabei würde die Gleitsichtbrille quasi ins Auge implantiert und ich bräuchte auch keine Lesehilfe. Die Komplettlösung klingt gut. Aber zehn Jahre warten? Gerade hab ich einen Segeltörn gebucht und mir ausgemalt, auf dem schwankenden Schiff ohne Badezimmer nicht mehr mühsam mit Kontaktlinsen zu hantieren ... Und soll ich mir wirklich wünschen, irgendwann am grauen Star zu erkranken? In diesem statistisch recht wahrscheinlichen Fall zahlt die Kasse die Sehkorrektur nämlich gleich mit.

Die Qual der Wahl

Als schnelle Lösung blieben die Laser-in-situ-Keratomileusis (Lasik) und die Trans-PRK-Behandlung (siehe unten). Ich kann mir aussuchen, ob der Arzt klassisch Hand anlegt oder ob ich mich nicht lieber ganz und gar dem Laser ausliefern will. Dummerweise hat jede Methode Vor- und Nachteile. Ich bin kein Mediziner, wie soll ich das entscheiden? Der Arzt sieht seine Aufgabe in Aufklärung, den Entschluss kann und will er mir nicht abnehmen. Ich bin völlig verwirrt: zu viele Möglichkeiten. Weil ich zudem meinen Leidensdruck nicht glaubwürdig vortragen kann, rät der Doc mir trotz seiner Unbedenklichkeitsbescheinigung von einer OP erst einmal ab und schickt mich verdutzt heim.

Zu Hause beginnt es zu rumoren. Wie? Aufgeben, wo ich meinem Ziel so nahe bin? Vier Wochen lang habe ich meine uralte Brille getragen, weil Kontaktlinsen Abdrücke auf der Hornhaut hinterlassen. Die hat Hausoptiker Jens Steigner in jede Himmelsrichtung vermessen. Alles bestens. Und nun soll ich weiter wie ein Maulwurf leben? Ob der trüben Aussichten lodert Panik auf. Ich rufe in der Klinik an, schildere meine missliche Lage, beteuere, dass ich wild entschlossen bin. Daraufhin darf ich den Operateur treffen. Er hat das letzte Wort.

Der Termin fühlt sich an wie ein Vorstellungsgespräch. Was, wenn der Halbgott in Weiß sein Veto einlegt? Ich bastle mir Argumentationsketten zurecht, nehme mir vor, freundlich-zuversichtlich zu wirken. Dr. Kasem Taya gibt mir die Hand, schaut lange in seinen Computer und nimmt mir allen Wind aus den Segeln. Warten? Unsinn, findet er – und rät zur seiner Ansicht nach für mich optimalen Operationsmethode. Die Transepitheliale photorefraktive Keratektomie (TransPRK) schont die Hornhaut, braucht allerdings Geduld, weil sich das endgültige Sehergebnis erst nach Wochen einstellt. Und: Die ersten Tage tut's weh. Aber was ist das schon gegen ein Leben im Nebel? Glücklich und erleichtert sage ich zu. Es ist Freitag. Am Montag darf ich zur OP.

Stillhalten mit Yogaatmung: Jetzt kommt's drauf an

Die Zeit zieht sich wie Kaugummi. Mit Ablenkungsmanövern und Yoga hangele ich mich zum Termin. Als mich meine Ärzte in ihren OP-Kitteln begrüßen, steigt die Nervosität. „Das grüne Licht ist Ihr Freund, schauen Sie einfach rein“, säuselt der Assistenzarzt. Mein Kopf ist durch eine Kuhle in der OP-Liege fixiert und wird sanft vom Operateur in die korrekte Richtung geführt. Ich denke „Ohmmmm“ und gebe mir Mühe, ruhig in den Bauch zu atmen, damit meine Augen nicht flattern. Die Lider können sich nicht schließen, sie werden von einem Lidsperrer gespreizt. Eine gruselige Vorstellung, aber ich kann's ja nicht sehen, und dank der Augentropfen fühle ich auch nichts. Der Laser wird über mein Gesichtsfeld geschoben, dann fällt der Startschuss zum 40-Sekunden-Wunder. Der Laser summt, der Assistenzarzt beginnt, rückwärts zu zählen. Ich starre ins Licht. Jetzt bloß nichts versauen! Klingt, als ob eine Fliege in den Moskitogrill fliegt. Es naht der Countdown. Läuft gut, ich atme weiter, bis es nach verbranntem Fingernagel riecht. Das muss meine Hornhaut sein. Egal. „Sie haben's geschafft!“, ruft der Arzt und lobt. Also gleich nochmal.

Schmerz spüre ich weder während noch nach der Prozedur. Ein Zahnarztbesuch ist schlimmer. Das soll's gewesen sein? Zum Abschied bekomme ich eine Tüte mit viererlei Augentropfen überreicht, meine Brille packt der Arzt gleich dazu. „Die brauchen Sie jetzt nicht mehr“, verspricht er. Das wollen wir erst noch sehen. Vorerst ist alles verschwommen. Auch wegen der Schutzklappen aus Plastik, die meine Augen vor Reiben und Fremdkörpern schützen. Ich sehe aus wie Puck, die Stubenfliege.

Eine Freundin fährt mich nach Hause. Im Auto versuche ich, durch die Joghurtbecher die Kennzeichen der Wagen vor uns zu lesen. „Ich glaube, es ist anders als vorher“, rufe ich immer wieder euphorisch. In meiner Wohnung lauere ich darauf, dass der Wundschmerz eintritt. Weh tut erst mal nichts. Gegen Abend fühlen sich meine Augen an, als hätte mir jemand Sand unter die Lider gestreut. Das Sandmännchen war's leider nicht, denn vor lauter Jucken und Brennen kann ich nicht schlafen. Meine Augen tränen, die Nase läuft, die Lider schließen sich krampfhaft, wollen nichts mehr ins Auge lassen. Auch keine schmerzlindernden Tropfen. „War wohl eine kurze Nacht?“, fragt der Arzt bei der Nachuntersuchung am nächsten Morgen amüsiert und vertröstet mich auf den nächsten Tag. Freunde schicken mir Durchhalteparolen aufs Handy, aber ich kann auf dem Display nichts erkennen. Außerdem blendet der Bildschirm. Lesen und Fernsehen fällt flach. Ich trage Sonnenbrille, auch abends und in geschlossenen Räumen. Über die ersten 36 Stunden retten mich Hörspiele, Schlaf und das Telefon. Dann ist der Spuk vorbei, aller Schmerz verflogen.

An Tag drei attestiert mir die Klinik, dass mein Sehvermögen fürs Autofahren genüge. Fein, dann fahr ich zur Arbeit. Theoretisch. Praktisch kann ich nicht lesen: Buchstaben auf Papier, Displays oder Bildschirmen verschwimmen. Beim Versuch, sie zu fixieren, tränen meine Augen. Das Starren strengt an und macht Kopfweh. Krankmelden geht nicht – ich hatte eine freiwillige OP. Zwangsurlaub also. Psychologisch die schwierigste Phase. Zweifel und Ungeduld zehren an den Nerven, weil sich das 100-Prozent-Ergebnis nicht umgehend einstellen will. „Viele drehen durch“, hatte mein Arzt gewarnt. Wie wahr.

Acht Wochen ist das her und der unvorstellbare Luxus, ein Leben ohne Brille, fast selbstverständlich geworden. Morgens taste ich noch nach ihr, halte die Kontaktlinsen feucht. Aus alter Verbundenheit, denn beides brauch ich nicht mehr. Ich kann Grashalme sehen statt einer grünen Fläche, Dachziegel zählen oder Blätter an den Bäumen. Die Buchstaben tanzen nicht mehr. Morgens fällt das Entziffern von Textnachrichten auf dem hellen Handydisplay schwer. Aber wie's scheint, komme ich noch eine Weile ohne Lesebrille durchs Leben. Aufhalten lässt sich die Altersweitsichtigkeit leider nicht. Bis dahin genieße ich die erkaufte Freiheit in vollen Zügen.